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Südafrika-Rundbrief6. August 2003 |
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Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet.
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Liebe Freunde und Verwandte, mit dieser Losung bin ich heute dankbar und glücklich zu Hause angekommen. Ich habe diesen Südafrika-Rundbrief bei meiner deutschen Freundin Gisela Achtzehn in Zinkwazi Beach in den letzten Tagen geschrieben. Wir sind seit unserer Kindheit, die sie in meinem Elternhaus verbrachte, sehr verbunden, und ich freue mich, dass ich nach meinen 6 Wochen Reisen und Diensten in der östlichen Provinz Mpumalanga und im Norden, der Limpopo Provinz, nun im Südosten Südafrikas in Natal mich ausruhen und die vielen Eindrücke verarbeiten und abgebrochene Gespräche telefonisch noch einmal aufnehmen kann. Von der Terrasse aus kann ich auf den Indischen Ozean schauen. Ich höre das Donnern der Brandung. Durch eine leichte Brise wiegen sich die Palmen, die Gisela selbst gezogen und angepflanzt hat. Beim Frühstück bewundere ich drei kleine Affen, wie sie so klettergewandt von Ast zu Ast springen. Einmal beim Mittagessen beobachtete ich einen Fischadler, wie er ruhig seine weiten Kreise am strahlend blauen Himmel zog. Es ist noch Winter hier, aber tagsüber im Schatten doch 20 Grad warm. Immer wieder empfinde ich diesen Ferienpark (Zinkwazi Lagoon Lodge) wie einen kleinen Paradiesgarten und einen Ort des Friedens. Gerade wurde ich durch einen Anruf in die südafrikanische Wirklichkeit zurückgeworfen. Prof. Volker Heuberg von der Zululand-Universität rief mich an. Ein Drittel seiner Studenten sterben – überwiegend an der Immunschwäche AIDS. Er fragt: "Wie gehen Familien mit dem Tod um?" und motiviert seine Studenten, Sterbebegleitung in den Familien zu machen. Er selbst arbeitet mit einer Krankenschwester zusammen, die in einem Wohnheim und in den Dörfern dafür sorgt, dass ca. 1000 Waisenkinder mit Nahrung versorgt werden und Sterbende vor ihrem Tod mit ihren Angehörigen zusammenkommen, damit noch eine Versöhnung stattfinden kann. Er sprach von 3 Menschengruppen, die dem Tod auf unterschiedliche Weise begegnen:
Er möchte alle Sterbenden mit den Worten Christi erreichen und Glauben an sein Wort wecken: "Heute noch wirst Du mit mir im Paradies sein." Zu mir sagte er eindringlich: Wie wir hier so braucht auch Ihr dort eine neue Missionsarbeit; wir brauchen nicht zuerst Euer Geld, wir brauchen Euer Gebet, und wir alle brauchen das Ewige Leben. Gib diese Botschaft weiter! Daten und Fakten über HIV/AIDS in SüdafrikaDie Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt für Südafrika an: Jeden Tag infizieren sich neu etwa 1.800 Personen, vor allem junge Menschen; bis der Virus zum Ausbruch kommt, kann es 5–10 Jahre dauern – d.h. so sterben viele Menschen zwischen 20 und 30, oft haben sie schon Kinder, und hinterlassen ihre eigenen Kinder als Waisen. In Natal gibt es viele Kinderhaushalte, wo ein noch unmündiges Kind Haushaltsvorstand für seine jüngeren Geschwister sein muss. Im Industriegebiet von Mandeni ca. 100 km nördlich von Durban ist in mehreren Fabriken ein HIV-Bluttest gemacht worden vom Direktor bis zum Arbeiter. Dabei stellte sich heraus: 88 % der Untersuchten waren HIV-positiv. In Natal ist die AIDS-Rate z.Z. höher als in andern Provinzen. In der Limpopo Provinz in Botlokwa sagte eine Krankenschwester: von 57 schwangeren Frauen waren 33 % HIV-positiv (Juni 2003). Bei 87 % der Infektionen wird der Virus durch Geschlechtsverkehr übertragen. Was kann getan werden, um die HIV/AIDS-Seuche einzudämmen?
Mein erster Einsatz in Matsulu im Igwa Kirchenkreis vom 12.–22.6.03Am 11.6. wurde ich herzlich auf dem Flughafen in NELSPRUIT von Missionar Markus Kalmbach in Empfang genommen und zu dem Pastorenehepaar Caroline und Richard Pereira, meinen langjährigen afrikanischen Freunden, nach Matsulu gebracht. Gleich am nächsten Morgen fuhren sie mit mir nach Jeppes Reef ganz nahe an der Grenze nach Swasiland: viele grosse Steinformationen, aber wenig geeignetes Land für einen Garten; viele bescheidene Häuschen – grosse Armut! Die lutherische Gemeinde sammelt sich bei trockenem Wetter unter einem grossen Feigenbaum, bei Regen im Haus des Gemeindegründers. Dessen Schwiegertochter hat trotz ihrer guten Ausbildung z.Z. keine Arbeit, aber sie ist vom Glauben her motiviert und durch 2 Kurse des Christian Council befähigt, inzwischen 15 junge Volunteers (freiwillige Helferinnen und 1 Helfer) in Häuslicher Krankenpflege (Home Based Care – HBC) auszubilden. Die jungen Leute haben oft weite Wege zu Fuss zu den Kranken zu machen. Nachdem sie zu Anfang von Haus zu Haus das ganze Gebiet durchkämmt hatten, konnten sie ca. 10 chronisch kranke Senioren und 6 AIDS-Kranke finden, die sich in ihren Häusern aus Angst vor der Stigmatisierung verborgen hielten. Ich bewunderte die freiwilligen Krankenpflegerinnen: sie fegen die Hofstatt, halten alles sauber, kochen, wo es nötig ist, oder bringen das von der Schwiegermutter der Leiterin umsonst gekochte Essen mit, waschen die Kranken und verbinden ihre Wunden (mit Gummihandschuhen, für die ich vorher schon das Geld geschickt hatte). Sie singen mit den Kranken und müssen auch öfter deren Rechte gegenüber den Angehörigen verteidigen. Die Alten bekommen eine Rente von 700 Rand = ca 60 Euro. Ich bewundere diese grosse Arbeit der Helfer/innen; sie sind jeden Tag viele Stunden beschäftigt. |
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Häusliche Krankenpflege. Besuch durch eine Pastorin. |
In jeder Hütte umarme ich die Alten und Kranken, sie erwidern das mit einem Kuss. Ich kann ja kein Siswati, aber diese Sprache der Annahme verstehen sie. Ein Bett habe ich nirgendwo gesehen, die AIDS-Kranken liegen auf einer dünnen Matratze, man sieht die Krankheit ihren ausgezehrten Gesichtern an. Sie tragen ihre Schmerzen ohne zu klagen, aber freuen sich über die mitgebrachte Seife und unser Singen und Beten. Als ich ihnen eine Bildkarte vom Verlorenen Sohn schenke, erzählen die Freiwilligen diese Geschichte. Ich spreche vom himmlischen Vater, der auf sie wartet und ihnen ganze Heilung schenken will. ![]() Wir besuchen in Jeppes Reef eine alte kranke Frau. Pastorin Caroline Pereira und ich knien auf ihrer Matte, um sie zu begrüßen. Zwei junge Frauen, deren Eltern schon an AIDS gestorben sind, brauchen praktische Hilfe; eine hat einen eitrigen Ausschlag auf der Lippe. "Die muss zum Doktor", sagte ich. Die Leiterin der Gruppe erwiderte: "Das Krankenhaus ist weit entfernt, es kostet mich viel Benzin, um die Mädchen dorthin zu bringen. Mit einem einzigen Arztbesuch ist es nicht getan." Wie froh bin ich, dass ich durch Eure Hilfe dafür einen Scheck von 500 Rand ausstellen konnte. Zum Abschluss versammeln sich alle Freiwilligen bei der Leiterin in einer Rundhütte. Ich gebe jeder/m die Hand und spreche meine Anerkennung über ihren selbstlosen Einsatz aus. Anhand der von mir selbstgefertigten Flanellbilder zeige ich ihnen, wie Jesu Liebe durch sie zu den Armen kommt. Sie sagen, dass sie auch durch den Dienst an den Kranken Dank und Befriedigung empfangen, aber eine Frau klagt: "Ich finde keine Zeit mehr, noch an der Strasse Bananen zu verkaufen, um das nötige Schuldgeld für meine Kinder zu verdienen." Ich bin bewegt davon, wie viele Christen hier ehrenamtlich eine wunderbare diakonische Hilfe leisten – und das in aller Bescheidenheit unter größten persönlichen Opfern. Mit einem Dankgebet und Segen für sie verabschiede ich mich. Begegnungen mit JugendlichenIn BARBERTON begann das Jugendtreffen auf Parish-Ebene mit Pastor Pereira verspätet am Samstagnachmittag mit Fussballspiel. Der von mir mitgebrachte Fussball wurde später mit Freuden angenommen. Ich konnte den Jugendlichen unter dem Stichwort der persönlichen Berufung etwa folgendes sagen: Jesus hat jeden einzelnen von Euch persönlich lieb. Für Euch hat er sein Leben hingegeben, damit sein Licht und sein Leben Euer Leben verwandeln kann, Denn Gott will Euer LEBEN und nicht Euren Tod. Er beruft Euch, so wie Er mich in der Jugend berufen hat, um sein Leben und seine Liebe mit anderen zu teilen. Ich gebe Zeugnis von meinem Leben, wie Gott mich 1956–68 nach Südafrika geführt hat und wie ich eine gute Gemeinschaft mit afrikanischen Schwestern und Brüdern erfahren habe. Weil "JESUS NO 1" in meinem Leben war, konnte ich hier 12 Jahre lang abstinent ohne einen schwarzen oder weissen "boyfriend" leben. Danach lernte ich meinen Mann kennen, und Gott schenkte uns zwei Söhne, als ich schon 40 und 41 Jahre alt war: Kholofelo (Hoffnung) und Tebogo (Dank). Nun hat mich Gott durch sein Wort mit 72 gerufen, wieder nach Südafrika zu kommen und dieses weiterzugeben: Gott will, dass Ihr lebt und entgegen Eurer Kultur und alten Tradition einen andern Lebensstil annehmt – den von Christus. Das bedeutet, dass Ihr Euch auf die echte Liebe durch Abstinenz, Selbstdisziplin und Verantwortung vorbereitet, damit Ihr durch Gottes Segen den rechten Partner findet, kirchlich getraut werdet und seine Liebe an Eure Kinder weitergeben könnt. Ich wollte ihnen die Vision einer christlichen Ehe geben, die Geborgenheit und Schutz auch für die Kinder bietet. Ich war mir aber bewusst, dass die Jugendlichen heute vielfach in zerbrochenen Familien oder mit alleinerziehenden Müttern gross werden müssen. Darum bin ich auf das Alltagsleben der jungen Menschen eingegangen. Sie hatten viele praktische Fragen z.B.: "Wie werden wir verführt bzw. verführen wir andere? Wie können wir uns gegen HIV, Geschlechtskrankheiten, umgewollte Schwangerschaften schützen? Geben Kondome einen wirklichen Schutz?" (im Hintergrund steht die Regierungskampagne: condomize – nehmt Kondome!) Durch Rollenspiele, die die Jugendlichen meisterhaft und mit großer Beteiligung aller vorführten, wurde es noch klarer: Wie können wir als Mädchen NEIN sagen zu ungewollter sexueller Verführung durch einen jungen Mann, der nur sagt, er will mich lieben, oder zum geliebten Freund, den ich nicht verlieren möchte? Gleiches gilt natürlich auch für Jungen. Mir fiel auf, wie die Mädchen in dem Spiel mit den Augen und Händen JA sagten, obwohl sie mit dem Munde und vielen Worten deutlich NEIN sagten. Als ich ihnen das sagte, wurden sie nachdenklich. Obwohl ich um 23 Uhr mit Missionar Kalmbach fahren musste, blieben die Jugendlichen die ganze Nacht zusammen, beteten, sangen, tanzten und gaben Zeugnis und bekannten ihre Schuld. Pastor Pereira erklärte ihnen: Wer schon sexuelle Beziehungen mit einem Partner/in hatte, aber davon frei werden möchte, der kann mit mir zusammen ein Gebet um Reinigung und Heilung sprechen, dann wird Jesus ihm/ihr kraft seiner Erlösung vergeben und einen neuen Anfang schenken und helfen, abstinent zu leben. Dann diktierte er ihnen das Versprechen, das bei der Initiative "Wahre Liebe wartet" schon 350.000 Jugendliche in Südafrika unterschrieben haben: "Mit Gottes Hilfe verspreche ich ab heute vor Gott, mir selbst, meiner Familie, meinen Freunden und meinem zukünftigen Ehepartner, bis zum Tag meiner Heirat sexuell enthaltsam zu leben." ![]() Die Jugendlichen sind dabei, das Versprechen zu unterschreiben, sexuell enthaltsam zu bleiben. Es wurde noch einmal deutlich gesagt: nur wer möchte, kann dieses Versprechen unterschreiben im Vertrauen darauf, dass Jesus auch in Zukunft die Kraft gibt, es zu halten. Einige der Jugendlichen gingen hinaus, aber etwa 85 % haben unterschrieben. Pastor Pereira erbat sich noch eine Zweitunterschrift auf einem Zettel, so dass er für sie beten und Nacharbeit mit ihnen tun kann. Sie bekamen von mir noch die sehr begehrten Armbänder mit den eingewebten Buchstaben wwjd = What would Jesus do? Diese Frage kann ihnen helfen, in den kleinen oder grossen Entscheidungen des Alltags zuerst auf die innere Stimme zu hören und nach dem Willen Jesu – auch betend – zu fragen. Meine Krankheit und GenesungBald danach warf mich eine 8 Tage anhaltende Virusgrippe mit hohem Fieber, Brechdurchfall und akuter Bronchitis nieder und schwächte mich sehr. Dank der Betreuung von Caroline Pereira, die sich selbst ansteckte, und der liebevollen Fürsorge von Susanne Kalmbach, die mich in ihrem Haus in Nelspruit aufnahm und zweimal zu ihrem Hausarzt brachte, und dank der Hilfe Gottes kam ich aus einer so kaum gekannten Schwäche wieder auf die Beine. Heimkehr in meine alte Heimat nach Venda 24.6.–13.07.03![]() Wiedersehen mit meiner alten Heimat in Venda. Es ist eine wunderschöne Landschaft. |
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Dr. T.S. Farisani, Verkehrsminister in der Limpopo Provinz und früher Superintendent in Venda, stellt mich in Beuster den Gliedern des dort tagenden Ordinationskurses vor. |
Unser Freund Tshenu Farisani holte mich am 23.6. ab und brachte mich in 4-stündiger Fahrt auf "meine" alte Missionsstation BEUSTER, wo er als ehrenamtlicher Direktor des Kirchenzentrums das alte Missionarshaus nur mit Hilfe von Spenden renoviert. Dort fühlte ich mich schnell wieder zu Hause und spürte voller Dankbarkeit, wie meine Kräfte zurückkehrten. Gleich am ersten Abend stellte er mich dem dort gerade tagenden Ordinationskurs der Nord-Diözese mit allen Superintendenten und dem Bischof Molefe vor und erzählte ihnen die Geschichte meiner Berufung nach Afrika, wie ich dafür meine Verlobung auflösen musste und so in den 10 Jahren in Venda zur "Mutter" von Beuster wurde. Ich war etwas überrascht und beschämt, aber im Nachhinein kann ich dankbar sagen: Nur dank einer tiefen fast familiären Gemeinschaft mit aktiven Frauen und Männern dieser Kirche konnte ich meine Dienste dort überhaupt so tun. Aber auch die Jugendlichen, die mich ja nicht kennen konnten, begrüßte ich mit einem Lied in Venda oder Sotho; und wenn ich meinen Vortrag noch in ihrer Muttersprache hielt, leuchteten ihre Augen; sie brachen in schallendes Gelächter aus, weil sie sich freuten. Wenn sie mein Alter hörten, klatschten sie. Einer sagte hinterher: "Wir sehen einen grossen Segen Gottes darin, dass Du so alt geworden bist und noch zu uns kommst. Wir möchten auch so gesegnet werden." Ich besuchte 5 Jugendgruppen in Venda und 2 im Sotho-Sprachbereich. Überall zeigte ich ihnen (wie auch bei Frauentreffen) die beeindruckenden Bilder von Tansania, in denen die AIDS-Katastrophe wie eine große Flut dargestellt wird, in der es 3 Boote der Hoffnung gibt. Sie tragen die Aufschrift "Abstinenz", "Treue" (= "fidelity" zu einem Partner) und "Kondome". Eines dieser Boote sollte man besteigen, wenn man nicht in der grossen Flut untergehen und sterben will. Bei den Jugendlichen konzentrierte ich mich auf Abstinenz. Ich deutete an, dass die Sexualität eine gute Gabe Gottes ist, ein Geschenk, das nach Gen. 2,24 der Ehe vorbehalten ist. Hier in Südafrika ist mir wieder aufgegangen, wie klar und eindeutig Bibelworte in die Situation hinein sprechen (z.B. 1.Kor. 6,19.20). Zu meiner Verwunderung bin ich hier keinem begegnet, der dies in Frage gestellt hat. Im Gegenteil: auch die Erwachsenen waren froh, dass ich den Jugendlichen Mut zu einem klaren Lebensstil machte. Vielfach haben Jugendleiter und Pastoren in ihrer Arbeit schon darauf hingearbeitet – nur dieses Versprechen (pledge) benutzten sie bisher noch nicht. Begegnungen mit Frauen, Männern, EhepaarenBei den Gebetsfrauen (Women’s League) in 6 Gemeinden zeigte ich ebenfalls die Bilder von der grossen Flut (= AIDS-Pandemie), weil ich merkte, dass die meist älteren Frauen den Ernst der Bedrohung noch gar nicht in ihrem Alltag wahrgenommen hatten. Ich legte aber den Schwerpunkt anders: Wie gehen wir mit HIV-Infizierten und AIDS-Kranken so um, dass sie sich nicht als Stigmatisierte, sondern angenommen fühlen? Leider gibt es in Südafrika noch einige Kirchen, die die AIDS-Krankheit als Strafe Gottes ansehen. Mein Anliegen war es, den ganzheitlichen Heilungswillen Jesu (z.B. mit Luk. 4,18.19) darzustellen und zu zeigen, wie er seine Nachfolger in diesen Heilungsauftrag einbezieht (z.B. Matth. 10,1ff). In Gesprächen war mir aufgefallen, dass die Frauen vielfach Berührungsängste gegenüber AIDS-Kranken haben; sie können sich z.B. nicht vorstellen, mit einem HIV-Infizierten aus einem Kelch das Abendmahl zu empfangen. Auch wenn sie vielleicht wissen, dass HIV nicht durch den Speichel übertragen wird, fürchten sie doch wider besseres Wissen, sie könnten sich beim gemeinsamen Trinken aus einem Kelch infizieren. Es war schon früher so und ist mir jetzt wieder deutlich geworden: Aufklärung allein reicht eben nicht aus. Die oft unterschwelligen Ängste werden letztlich nicht durch mehr Bildung und Information überwunden. Nur ein Wort Gottes wie 1.Joh. 4,18 kann da weiterhelfen: Furcht ist nicht in der Liebe. Vielmehr treibt die vollkommene Liebe die Furcht aus. Darum liess ich die Frauen mit einem biblischen Rollenspiel zum Verlorenen Sohn, Barmherzigen Samariter oder zur Blutflüssigen Frau selbst das Thema einleiten. Jedesmal war die in Not geratene Person eine HIV-Infizierte. Die Zeit für die Vorbereitung dieses Bibliodrama war immer recht kurz, und doch wurde äusserst lebendig und vor allem wirklichkeitsnah "gespielt" – es war ihr Leben! Als am 6. Juli Luk. 15,11ff der Predigttext war, sollte ich in einer abgelegenen Schule 40 km westlich von MAKHADO (LOUIS TRICHARDT) predigen. Women’s und Men’s League hatten sich dort zu ihrem Viertelsjahrstreffen versammelt. Eine Viertelstunde vor Beginn des Gottesdienstes übernahm die Pfarrfrau Gladys Sekiba die Einführung in das Drama und die Rollenverteilung, nachdem ich vorher kurz das Anliegen aufgezeigt hatte. Es war für alle bewegend, wie dann im Gottesdienst in einem Klassenzimmer die AIDS-Kranke (in der Rolle des Verlorenen Sohnes) stöhnend, hustend, humpelnd, schäbig gekleidet von hinten nach vorne kam und ihre Ängste und Schmerzen, ihr Gefühl der Ablehnung laut aussprach – sie wollte aber zurück in ihre Heimatgemeinde, weil sie sich hier Hilfe erwartete. |
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Rollenspiel "der Verlorene Sohn": Die Aidskranke kommt stöhnend, hustend, humpelnd nach vorn und spricht ihre Ängste und Schmerzen laut aus. |
Schon bei der lauten Wehklage dieser Kranken waren einige zu Tränen gerührt. Ich spürte, wie die ganze Not dieser Epidemie von ihnen erlebt wird. Zuerst begegnete die Kranke ihrem eigenen älteren Bruder in der Gemeinde. Er sagte: "Meinst Du etwa, dass ich mit Dir zusammen esse oder Dich in unser Haus aufnehme? Geh wieder dorthin, wo Du hergekommen bist!" ![]() Eine Frau in der Rolle des älteren Bruders lehnt die AIDS-Kranke schroff ab. Die HIV-Kranke sackte verzweifelt in sich zusammen. Aber damit nicht genug: Die in ihrer ordentlichen Uniform gekleideten Gebetsfrauen sagten hart und ablehnend zu ihr: "Glaubst Du, dass wir hier in der Kirche mit Dir zusammen Abendmahl nehmen, hier mit Dir zusammen auf einer Bank sitzen? Wo hast Du Dich herumgetrieben? Hast Du Deinen Körper wie eine Prostituierte verkauft? Wie siehst Du denn aus? Komm uns nur nicht zu nahe!" Die HIV-Kranke wurden von allen Kirchgängern restlos abgelehnt. Da kam der Pastor (Frau Sekiba in der Rolle des Vaters). Er nahm sofort die Kranke in den Arm. Seine Augen strahlten: "Du bist meine Tochter. Du warst tot; jetzt lebst Du wieder. Wir wollen ein grosses Fest zusammen feiern. Mit dem Abendmahl fangen wir an." ![]() Der "Pastor" in der Rolle des barmherzigen Vaters umarmt die Kranke liebevoll und heisst sie in der Gemeinde willkommen. Er legte der Kranken eine neue Wolldecke um. Dadurch fühlte sie sich gewärmt, geliebt und angenommen. Sie richtete sich auf. Neues Leben war in sie hineingekommen durch die Barmherzigkeit des Pastors. ![]() Durch eine neue Wolldecke gewärmt, umarmt und angenommen lebt die Kranke sichtlich auf. Der Pastor nahm ein Glas mit Wasser, das zufällig auf dem Tisch stand, und reichte es der Kranken zuerst: "Jetzt feiern wir zusammen das Abendmahl. Denn Jesus ist nun mitten unter uns." Danach trank er selbst aus dem Glas und reichte es den Gebetsfrauen und dem älteren Bruder weiter. Alle tranken daraus – durch die Liebe Jesu überwunden. Zum Schluss fassten sich alle an den Händen und sangen dazu: "We are one family of God." Auch Pastor Sekiba hatte nun Tränen in den Augen, und die Männer und Frauen waren sichtlich bewegt. Danach war es für mich nicht mehr schwer zu predigen. Ich konnte auf die praktischen Konsequenzen eingehen (Ausbildung von Volunteers für Häusliche Krankenpflege; Begleitung der Pflegerinnen durch Kurse für Menschen, die Seelsorge und Beratung für Kranke und Angehörige lernen – Frau Sekiba will die Krankenschwester begleiten, um so die Kranken kennenzulernen. Sie will dadurch Kontakte aufbauen und helfen, den Ausschluss der Kranken aus der Gemeinschaft, die Stigmatisierung, zu überwinden.) Beim Treffen der Männer (Men’s League) des Kirchenkreises Devhula/Lebowa in Beuster versuchte ich darzustellen, wie die hohe HIV-Infektionsrate letztlich mit einem kulturell bedingten Selbstverständnis der Männer und der untergeordneten Stellung der Frau zusammenhängt. AIDS kann sich nur deshalb so stark und so schnell ausbreiten, weil auch bei Männern, die offiziell nur mit einer Frau verheiratet sind, die polygame Grundeinstellung und Praxis des Verkehrs mit mehreren Frauen weitergeht, und zwar gesellschaftlich völlig gebilligt. Frauen sind ebenfalls nach der traditionellen Sitte gehalten, ihren Männern schweigend zu gehorchen und vor allem auf deren sexuelle Wünsche immer einzugehen, auch wenn sie sich nicht gut fühlen. Die grosse Armut und Arbeitslosigkeit zwingt die Frauen dazu, ihren Körper zu "verkaufen", weil sie keine andere Möglichkeit sehen, ihre Kinder zu ernähren und das Schuldgeld und die Schuluniformen für sie zu bezahlen. Als ich bei 2 Frauentreffen die praktische Empfehlung gab, in Form einer Ich-Botschaft auch NEIN zu sagen oder vom Ehemann zu verlangen, dass er ein Kondom benutzen möchte, weil die Frau sich nicht sicher ist, ob er sich (etwa bei seiner langen Abwesenheit in der Stadt) infiziert hat, gab es eine grosse Erregung unter den Frauen. Sie sagten, sie fürchteten, ihr Mann würde sie verstoßen und nach Hause zu ihrer Familie zurückschicken, aber die würde sie nach so vielen Jahren auch nicht mehr aufnehmen. Als ich Gesprächsübungen mit Ich-Botschaft gemacht hatte, sagte eine Frau ganz befreit und erleichtert: "Jetzt weiss ich, wie ich mit meinem Mann reden kann." – Darum empfahl ich den Männern: Do not force your wife to have sex with you. (Zwingt Eure Frauen nicht zum Sex.) Macht einen HIV-Test. Redet mit Euren Frauen. Habt Zeit für sie. Denn die Frauen haben das Bedürfnis, mit ihrem Mann zu reden. Seid offen zueinander. Habt keine Geheimnisse voreinander. Denn Geheimnisse (auch im Blick auf die Finanzen) sind der Tod der Ehe. Erneuert Euer Eheversprechen in der Kraft Christi. Dr. med. Ramasuvha, Leiter der Men’s League und langjähriger Freund, bedankte sich für diese "provokative und zu Herzen gehende" Ansprache. In Matsulu hatte ich einen kleinen Ehetag mit 7 Personen, in Beuster mit allen 16 Pastorenehepaaren, sofern sie nicht im Urlaub waren, und 3 ledigen Pastorinnen. Ich war dankbar, dass es gelungen war, nach kurzfristiger Abkündigung am Sonntag im Ordinationsgottesdienst schon am Mittwoch mit 35 Frauen und Männern wirklich so etwas wie einen kleinen Workshop zu gestalten. Diesmal hielt ich meine Vorträge auf Englisch – und Sup. Randitsheni kopierte alle (auch die aus Zeitgründen nicht gehaltenen) Vorträge und praktischen Übungen zur Kommunikation und gab sie jedem Ehepaar geheftet mit. Meine Hoffnung, für die ich schon zu Hause betete: möchten sie doch selbst zu Multiplikatoren werden und Ehetage in ihren Gemeinden anbieten. Ich sprach anfangs über die "Biblischen Grundlagen der Ehe" und bat sie dann, sich in 4 Gruppen aufzuteilen und die Fragen zu erörtern: "Wie können wir Liebe in der Ehe leben und zum Ausdruck bringen?" "Was hindert uns, unsere Liebe und unser Vertrauen unserem Ehepartner gegenüber auszudrücken?" In der anschließenden Plenumsdiskussion wurden viele wichtige Hinweise aus den Gruppen gegeben. Die Bitte war allgemein: ein solcher Ehetag müsse wiederholt werden. Ich regte noch einmal an, solche Ehetage auch in den Gemeinden zu halten, um so die Treue und Ausdrucksfähigkeit in den Ehen zu stärken und im Kampf gegen AIDS besser gerüstet zu sein. Aber ich weiss natürlich nicht, ob jemand nach solch einer einzigen Einführung den Mut dazu hat. Saat und Ernte – der Kreis schliesst sichDaneben habe ich bei Besuchen oder mit Besuchern bei mir 42 kürzere oder längere Einzelgespräche gehabt und mit jeder Person gebetet, auch mit der Frau am Blumenstand auf dem Flughafen, die als lutherische Christin an ihren Ahnen (ancestors) festhält, weil sie meint, die könnten sie zu Gott bringen. Es war wunderbar, dass die alten Verbindungen von früher wieder auflebten und mir solch ein grosses Vertrauen entgegengebracht wurde. So konnten die wirklichen Lebensfragen bald angesprochen werden. |
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Wiedersehen nach langer Zeit. Ich besuche den pensionierten Pastor Meela in Botlokwa. |
Ein Mann, der mich nach 37 Jahren zum ersten Mal wiedersah, begrüßte mich mit einem Handkuss und begann, mir alte Lieder vorzusingen. Ebenso kamen immer wieder Frauen singend auf mich zu mit Liedern, die ich ihnen vor mehr als 40 Jahren in der Kinder- und Jugendarbeit beigebracht hatte. Kristo o ri vhofholola, imani-ha no kwatha. (Gal. 5,1) "Wir haben nicht vergessen, was Du uns vermittelt hast, als wir noch jung waren." Auch in dem Kindergarten in Beuster sangen die 3–5jährigen dieselben Lieder. In alledem spürte ich, dass der vor so langer Zeit ausgestreute Same irgendwie aufgegangen war. Dasselbe hoffe ich auch jetzt. Mir ist dabei sehr bewusst, dass mein kurzer Besuch in verschiedenen Gemeinden nur dann etwas bewirken kann, wenn Gottes Geist die Menschen in ihren Herzen anrührt und Liebe wirkt. Das ist die grosse Herausforderung in der gegenwärtigen Situation: Wir sollen zu einer leeren Tonschale in der Hand unseres himmlischen Vaters werden und uns mit dem lebendigen Wasser seiner göttlichen Liebe und Barmherzigkeit füllen lassen und diese weitergeben. Viele verdursten hier. Ihr Durst nach Leben und Liebe ist gross, aber die Chancen, dieses Verlangen in richtiger Weise zu stillen, sind grösser als je zuvor, dass viele das Leben finden – ewiges Leben und neuen Lebensmut – Hoffnung inmitten von Armut, Krankheit und Tod. Danke für alle Eure Gebete und Eure Anteilnahme durch Anrufe bei Wilhelm und Briefe, die mich gestärkt haben, und jetzt auch beim Lesen dieses langen Briefes! Dank für Selbsthilfeprojekte und SpendenEinen ganz herzlichen Dank möchte ich allen sagen, die mich instandgesetzt haben, dass ich für insgesamt 9 "Income generating projects for women" die notwendige Startfinanzierung geben konnte. Mit Euren Gaben in Höhe von 2000 Euro konnten 5 Biscuit- und 2 Näh- und 2 Kirchbaufinanzierungsprojekte eine Starthilfe bekommen. Ich habe auch die nötigen Regeln für die Verwaltung der Gelder hier mit Wilhelm und seinem Steuerberater-Freund entworfen und dort als Anregung weitergegeben, die sehr bereitwillig aufgenommen wurde. Auch die von seiner Frau mitgegebenen Rezepte für Scons und Biscuits waren sehr willkommen. Die Frauen arbeiten gemeinsam – z.T. mit HIV-positiven Frauen – in solch einem Projekt, in dem Kekse gebacken, Uniformen genäht oder Gemüse angebaut und verkauft wird, damit die Kranken für sich ein ganz bescheidenes Einkommen erwirtschaften. Sie sollen damit in der Lage sein, sich gesund zu ernähren und so ihr schwaches Immunsystem zu stärken. ![]() Mit großer Freude empfangen die Frauen in Senthumule den Scheck für ein Näh- und Biscuitprojekt. Sie halten die Rezepte für die Scons hoch, die die Spenderin (siehe linkes Foto) zusammen mit ihrer Gabe nach Südafrika sandte. Mit anderen Projekten möchten die Gebetsfrauen etwas verdienen, damit sie Lebensmittel für Alte, Arme und AIDS-Kranke einkaufen bzw. einen notwendigen Kirchbau mitfinanzieren können. Aus Euren Spenden konnte ich 1.100 Euro für die Renovierung des Kirchenzentrums in Beuster und insgesamt 900 Euro für 3 Waisenhäuser und das neueröffnete AIDS-Informationszentrum in Kratzenstein sowie 150 Euro für Häusliche Krankenpflege geben. Alle Empfänger sind ausschliesslich auf Spenden für ihre Arbeit angewiesen. Wegen des günstigen Wechselkurses sind für sie die in unsern Augen geringen Beträge dennoch eine spürbare Hilfe. Es werden aber bald noch mehr Spenden gebraucht, weil in jeder Grossgemeinde solche Selbsthilfeprojekte mit AIDS-Kranken von den dort zu gründenden Komitees angeregt und begonnen werden sollten. Persönlicher DankVon Herzen bin ich Gott dankbar, dass ich nach meiner Genesung in Nelspruit jeden Morgen mit frischen Kräften aufgestanden bin und mit Freuden meine Dienste getan habe. Wem geht es schon so gut wie mir, die ich in meinem Alter noch wie früher an Gottes Mission teilhaben kann und soviel Bewahrung erfahren habe: auf vielen Wegen mit Stolpersteinen bin ich vor dem Fallen bewahrt worden und auf den Fahrten mit den Autos meiner Gastgeber vor Pannen, Unfall und Überfall mit ihnen gnädig behütet. Ich glaube, dass Eure Gebete ein Schutzwall waren. Nun darf ich alles fragmentarische Tun und den ausgestreuten Samen demütig in die Hände des Schöpfers legen. Möge ER es segnen, wachsen und reifen lassen! Ich danke Euch für alle Begleitung, alle Gebete und Grüsse, die Wilhelm mir in unseren langen (billigen!) Telefongesprächen übermittelt hat. Nun bin ich nach einem ermüdenden Nachtflug über Amsterdam am Mittwoch 6.8. um 11 Uhr in Bremen angekommen und nach 8 Wochen wohlbehalten wieder in Wilhelms Armen gelandet. Überrascht wurde ich von einem jungen Missionar, der mit seiner Familie auf die Berufung nach Malawi wartet, das mir weiter am Herzen liegt. Er hiess mich mit einem Strauss teurer Rosen willkommen, die sich bei 36 Grad Celsius ganz behutsam öffnen. |
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Südafrika-Rundbrief, 06. August 2003, Hanna Steffens |